Neues Verfahren zur molekularen Funktionalisierung von Oberflächen

Stabile und geordnete Molekül-Einzellagen auf Silizium durch Selbstorganisation / Veröffentlichung in “Nature Chemistry”

Eine Vision beschäftigt Materialwissenschaftler: die Kombination von organischen Molekülen und der Vielfalt ihrer Funktionen mit den technologischen Möglichkeiten der hochentwickelten Halbleiterelektronik. Letztere „erschafft“ mit ihren modernen Methoden der Mikro- und Nanotechnologie immer effizientere elektronische Bauelemente für verschiedene Anwendungen. Sie stößt aber auch immer mehr an ihre physikalischen Grenzen. Beliebig kleine Strukturen zur Funktionalisierung von Halbleitermaterialien wie zum Beispiel Silizium lassen sich mit den Ansätzen der klassischen Technologie nicht herstellen. Wissenschaftler stellen in der Fachzeitschrift „Nature Chemistry“ nun einen neuen Ansatz vor. Sie zeigen, dass stabile und gut geordnete Molekül-Einzellagen auf Siliziumoberflächen hergestellt werden können – durch Selbstorganisation. Dazu nutzen sie N-heterozyklische Carbene. Dies sind kleine reaktive organische Ringmoleküle, deren Struktur und Eigenschaften vielfältig variieren und durch unterschiedliche „funktionelle“ Gruppen maßgeschneidert werden können.

An der Studie beteiligt waren Forscher um Prof. Dr. Mario Dähne (TU Berlin), Prof. Dr. Norbert Esser (TU Berlin und Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften), Prof. Dr. Frank Glorius (Westfälische Wilhelms-Universität (WWU) Münster), Dr. Conor Hogan (Institute of Structure of Matter, National Research Council of Italy, Rom) sowie Prof. Dr. Wolf Gero Schmidt (Universität Paderborn).

Technologische Miniaturisierung stößt an Grenzen

„Statt mit zunehmendem Aufwand immer kleinere Strukturen künstlich herstellen zu wollen, ist es naheliegend, von den molekularen Strukturen und Abläufen in der Natur zu lernen und deren Funktionalität mit der Halbleitertechnologie zusammenzuführen“, betont WWU-Chemiker Frank Glorius. „Dies wäre eine Art Schnittstelle zwischen der molekularen Funktion und der elektronischen Bedienoberfläche für technische Anwendungen.“ Die ultrakleinen Moleküle mit variabler Struktur und Funktionalität müssten dafür mit den Halbleiterbauelementen zusammengebracht werden, und zwar reproduzierbar, stabil und möglichst einfach.

Selbstorganisation der Moleküle nutzbar machen

Die Selbstorganisation der Moleküle auf einer Oberfläche, als Schnittstelle zum Bauelement, kann diese Aufgabe sehr gut leisten. Moleküle mit definierter Struktur können in großer Zahl auf Oberflächen aufgebracht werden und sich dort von selbst in einer gewünschten Struktur anordnen, vorgegeben durch die Moleküleigenschaften. „Das funktioniert beispielsweise gut auf Oberflächen von Metallen, bisher aber nicht zufriedenstellend für Halbleitermaterialien“, erläutert Physiker Norbert Esser. Denn um sich anordnen zu können, müssen die Moleküle auf der Oberfläche beweglich sein, also diffundieren. Das tun Moleküle auf Halbleiteroberflächen aber nicht. Vielmehr sind sie so stark an die Oberfläche gebunden, dass sie dort haften bleiben, wo sie einmal auf die Oberfläche getroffen sind.

N-Heterozyklische Carbene als Lösung

Gleichzeitig beweglich und trotzdem stabil mit der Oberfläche verbunden zu sein, das ist das entscheidende Problem und gleichzeitig der Schlüssel zu möglichen Anwendungen. Und genau hier haben die Forscher nun eine mögliche Lösung parat: N-heterozyklische Carbene. Ihre Verwendung für die Oberflächenfunktionalisierung hat in den letzten zehn Jahren viel Interesse auf sich gezogen. Auf Oberflächen von Metallen wie zum Beispiel Gold, Silber und Kupfer haben sie sich als effektive Oberflächenliganden erwiesen, die anderen Molekülen oft überlegen sind. Ihre Wechselwirkung mit Halbleiteroberflächen ist jedoch bisher nahezu unerforscht.

Ausbildung einer regelmäßigen Molekülstruktur

Dafür, dass es jetzt erstmals gelungen ist, Molekül-Einzellagen auf Siliziumoberflächen herzustellen, sind bestimmte Eigenschaften der Carbene entscheidend: N-heterozyklische Carbene bilden zwar wie andere Moleküle auch sehr starke kovalente Bindungen zum Silizium aus und sind somit stabil gebunden. Durch Seitengruppen des Moleküls werden sie jedoch gleichzeitig „auf Abstand“ zum Silizium gehalten. So können sie noch ihren Platz auf der Oberfläche wechseln. Zwar kommen sie nur wenige Atomabstände weit, aber dies ist ausreichend, um auf der Oberfläche des regelmäßig strukturierten Siliziumkristalls eine fast ebenso regelmäßige Molekülstruktur auszubilden.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Mit einem komplementären Multimethodenansatz aus organisch-chemischer Synthese, Rastersondenmikroskopie, Photoelektronenspektroskopie und umfassenden Materialsimulationen klärten die Forscher in ihrer interdisziplinären Zusammenarbeit das Prinzip dieser neuartigen chemischen Wechselwirkung auf. Sie demonstrierten zudem die Ausbildung von regelmäßigen Molekülstrukturen an einigen Beispielen. „Für die Funktionalisierung von Halbleitermaterialien, wie hier dem Silizium, wird damit ein neues Kapitel aufgeschlagen“, unterstreicht Physiker Dr. Martin Franz (TU Berlin), Erstautor der Studie.

Förderung

Die Studie erhielt finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, die Berliner Senatskanzlei Wissenschaft und Forschung, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Höchstleistungsrechenzentren von Stuttgart, Paderborn und CINECA Italien (ISCRA initiative).

Originalpublikation

M. Franz, S. Chandola, M. Koy, R. Zielinski, H. Aldahhak, M. Das, M. Freitag, U. Gerstmann, D. Liebig, A. K. Hoffmann, M. Rosin, W. G. Schmidt, C. Hogan, F. Glorius, N. Esser, M. Dähne (2021), Controlled growth of ordered monolayers of N-heterocyclic carbenes on silicon. Nature Chemistry; DOI: 10.1038/s41557-021-00721-2


Links:


Quelle: Pressemitteilung / Pressestelle der Universität Münster (upm)




Überraschendes Signal im Dunkle-Materie-Detektor XENON1T

Physiker veröffentlichen erste Ergebnisse auf “arXiv”

Daten von XENON1T, dem weltweit empfindlichsten Dunkle-Materie-Detektor, enthalten einen überraschenden Signalüberschuss. Das haben die Mitglieder der XENON-Kollaboration unter Beteiligung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) heute bekannt gegeben. Sie behaupten aber nicht, Dunkle Materie gefunden zu haben, sondern betonen, dass die Quelle dieses unerwarteten Signals noch nicht vollständig verstanden sei. Es könnte von einer winzigen Menge Tritium (überschwerer Wasserstoff) stammen, aber auch ein Hinweis auf etwas Spannenderes sein: die Existenz neuer Teilchen, den theoretisch vorhergesagten solaren Axionen, oder eine bisher unbekannte Eigenschaft von Neutrinos.

XENON1T war von 2016 bis Ende 2018 im Gran-Sasso-Untergrundlabor des Istituto Nazionale di Fisica Nucleare (INFN) in Italien in Betrieb. Es diente primär der Suche nach Teilchen der Dunklen Materie, die 85 Prozent der Materie im Universum ausmacht, für die es aber bisher nur indirekte Hinweise gibt. XENON1T hat zwar keine Dunkle Materie entdeckt, aber weltweit die beste Sensitivität für die Suche nach WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles) erreicht, die zu den theoretisch bevorzugten Kandidaten für Dunkle Materie gehören. Die sehr hohe Sensitivität von XENON1T erlaubt es darüber hinaus, nach verschiedenen neuen Teilchen und bisher unbeobachteten Prozessen zu suchen. So konnte die XENON-Kollaboration im vergangenen Jahr die Beobachtung der seltensten jemals direkt gemessenen Kernumwandlung in der Fachzeitschrift „Nature“ publizieren.

Der zur Suche nach seltenen Ereignissen optimierte XENON1T-Detektor enthielt 3,2 Tonnen hochreines, bei minus 95 Grad Celsius verflüssigtes Xenon, von denen die innersten zwei Tonnen als Nachweismedium dienten. Fliegt ein Teilchen durch die Flüssigkeit, kann es mit den Xenon-Atomen zusammenstoßen, dabei schwache Lichtsignale auslösen und Elektronen aus dem getroffenen Xenon-Atom schlagen. Da die meisten Wechselwirkungen auf bekannte Teilchen zurückgehen, diente eine Vielzahl von aufwendigen Methoden dazu, solche störenden Hintergrundereignisse auf ein bislang unerreicht niedriges Niveau zu senken. Die verbleibende Anzahl von Hintergrundereignissen haben die Wissenschaftler sehr sorgfältig bestimmt. Beim Abgleich der XENON1T-Daten mit dem Hintergrund fanden die Forscherinnen einen überraschenden Überschuss von 53 Ereignissen über die erwarteten 232 Ereignisse.

Was ist der Ursprung dieses Signals?

Eine Möglichkeit könnte ein bisher unerkannter Hintergrund sein, und zwar die Anwesenheit extrem kleiner Mengen von Tritium im flüssigen Xenon. Tritium, ein radioaktives Wasserstoffisotop mit zwei extra Neutronen, zerfällt spontan unter Aussendung eines Antineutrinos sowie eines Elektrons mit einer Energieverteilung ähnlich der beobachteten. Wenige Tritiumatome auf 10²⁵ Xenon-Atome (das entspricht etwa 2 Kilogramm Xenon) würden genügen, um das Signal zu erklären. Allerdings gibt es derzeit keine unabhängigen Messungen, die die Anwesenheit derart winziger Mengen Tritium im Detektor bestätigen oder ausschließen könnten. Ob diese Erklärung für das beobachtete Signal zutrifft, muss deshalb offenbleiben.

Eine weitaus spannendere Erklärung wäre die Existenz eines neuen Teilchens. Das gemessene Energiespektrum gleicht demjenigen, das für in der Sonne erzeugte Axionen erwartet wird. Axionen sind hypothetische Teilchen, die vorgeschlagen wurden, um eine in der Natur beobachtete Symmetrie der Kernkräfte zu verstehen. Die Sonne könnte eine starke Quelle von Axionen sein. Diese solaren Axionen sind zwar keine Dunkle-Materie-Kandidaten, aber ihr Nachweis wäre die erste Beobachtung einer sehr gut motivierten, aber noch nicht gefundenen Klasse von Teilchen. Dies hätte große Bedeutung für unser Verständnis von fundamentaler Physik, aber auch von astrophysikalischen Phänomenen. Im frühen Universum erzeugte Axionen könnten zudem eine Quelle für Dunkle Materie sein.

Alternativ könnten auch überraschende Eigenschaften von Neutrinos hinter dem unerwarteten Signal stecken. In jeder Sekunde durchqueren Billionen von Neutrinos ungehindert den Detektor. Als eine Erklärung käme in Frage, dass das magnetische Moment der Neutrinos größer ist als vom Standardmodell der Elementarteilchenphysik vorhergesagt, was ein klarer Hinweis auf „neue Physik“ wäre.

Von allen drei Erklärungen zeigen Signale solarer Axionen die beste Übereinstimmung mit den gemessenen Daten. Allerdings ist die statistische Signifikanz von 3,5 Sigma (das heißt mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Zehntausendsteln handelt es sich bei dem Signal um eine zufällige Fluktuation, die somit nicht völlig ausgeschlossen ist) zwar recht hoch, aber nicht hoch genug für eine Entdeckung. Die beiden anderen Erklärungen sind mit 3,2 Sigma ähnlich gut mit den Daten vereinbar.

Nach dem Umbau von XENON1T zu XENONnT mit der dreifachen aktiven Detektormasse und geringerem Hintergrund werden bald noch bessere Daten zur Verfügung stehen. Die Mitglieder der XENON-Kollaboration sind zuversichtlich herauszufinden, ob dieses überraschende Signal nur eine statistische Fluktuation, eine weitere Hintergrundkomponente oder etwas bei weitem Spannenderes ist: ein neues Teilchen oder eine Wechselwirkung jenseits der bekannten Physik.

Förderung und beteiligte Institutionen:

Die Forschung der deutschen Gruppen bei XENON wird im Wesentlichen von der Max-Planck-Gesellschaft und der Verbundforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert.

In der XENON-Kollaboration arbeiten 163 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 28 Institutionen in elf Ländern zusammen. Aus Deutschland sind fünf Institutionen maßgeblich beteiligt. Das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg war für die Lichtsensoren, den Nachweis geringster Spuren Radioaktivität im Detektormaterial und im flüssigen Xenon verantwortlich, die Universität Münster entwickelte das Tieftemperatur-Destillationssystem zur Entfernung von radioaktiven Verunreinigungen aus dem flüssigen Xenon sowie ein allgemeines Xenon-Reinigungssystem, die Universität Mainz war für das Myon-Vetosystem verantwortlich und hat zum Xenon-Rückführungs- und Speichersystem wesentlich beigetragen, und die Universität Freiburg war für den Bau des Detektors und die Datenerfassungselektronik verantwortlich. Alle Institute, zu dem seit Kurzem auch das Karlsruher Institut für Technologie zählen, sind an der Datenanalyse beteiligt.

Originalpublikation:

Observation of Excess Electronic Recoil Events in XENON1T, XENON Collaboration, arXiv


Quelle: Pressemitteilung / Pressestelle der Universität Münster (upm)




Bose-Einstein-Kondensat: Magnetische Teilchen verhalten sich abstoßend

Neue Erkenntnisse von Physikern der Universität Münster können für zukünftige Informationstechnologien relevant sein / Studie in “Nature Communications”

Eine Datenübertragung, die mittels magnetischer Wellen anstelle elektrischer Ströme funktioniert – für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das die Basis zukünftiger Technologien, mit der die Übertragung schneller und elektrische Bauteile kleiner und energiesparender gemacht werden können. Magnonen, die Teilchen des Magnetismus, dienen dabei als bewegliche Informationsträger. Vor knapp 15 Jahren gelang es Forschern der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) erstmals, einen neuartigen Quantenzustand von Magnonen bei Raumtemperatur zu erreichen – ein auch als „Superatom“ bezeichnetes Bose-Einstein-Kondensat aus magnetischen Teilchen, also ein extremer Aggregatzustand, der üblicherweise nur bei sehr geringen Temperaturen stattfindet.

Seither fällt auf, dass dieses Bose-Einstein-Kondensat räumlich stabil bleibt – obwohl ein Kondensat aus Magnonen laut Theorie eigentlich zusammenfallen müsste, schließlich handelt es sich um anziehende Teilchen. In einer aktuellen Studie zeigen die Forscher jetzt erstmals, dass sich die Magnonen innerhalb des Kondensats abstoßend verhalten, was zur Stabilisierung des Kondensats führt. „Damit lösen wir einen langjährigen Widerspruch zwischen der Theorie und Praxis auf“, betont Studienleiter Prof. Dr. Sergej O. Demokritov. Die Ergebnisse können für die Entwicklung zukünftiger Informationstechnologien relevant sein. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ erschienen.

Hintergrund und Methode:

Das Besondere am Bose-Einstein-Kondensat ist, dass sich die Teilchen in diesem System nicht unterscheiden und sie sich überwiegend im selben quantenmechanischen Zustand befinden. Der Zustand kann daher durch eine einzige Wellenfunktion beschrieben werden, woraus Eigenschaften wie die Suprafluidität resultieren. Die Suprafluidität zeichnet sich durch eine sogenannte Null-Dissipation während der Bewegung des Kondensats bei tiefen Temperaturen aus – unter Dissipation versteht man das Verschwinden von Energie und Impuls infolge von Reibung.

Zuvor waren die Vorgänge im Bose-Einstein-Kondensat ausschließlich in homogenen Magnetfeldern untersucht worden – also in Magnetfeldern, die an jeder Stelle gleich stark sind und in denen die Feldlinien gleichmäßig in eine Richtung zeigen. Die Forscher verwendeten einen Mikrowellen-Resonator, der Felder mit Frequenzen im Mikrowellenbereich erzeugte, wodurch die Magnonen angeregt wurden und ein Bose-Einstein-Kondensat bildeten. Im aktuellen Experiment führten die Wissenschaftler einen zusätzlichen sogenannten Potenzialtopf ein. Dieser entspricht einem inhomogenen statischen Magnetfeld, das Kräfte erzeugt, die auf das Kondensat wirken. So konnten die Forscher die Wechselwirkung der Magnonen im Kondensat direkt beobachten.

Dazu nutzten sie ein Verfahren der Brillouin-Lichtstreu-Spektroskopie. Dabei wurde die lokale Dichte der Magnonen mit dem Laserlicht einer Sonde aufgezeichnet, das auf die Oberfläche der Probe fokussiert war. Auf diese Weise erhoben sie die räumliche Umverteilung der Kondensatdichte und beobachteten das Verhalten der magnetischen Teilchen unter verschiedenen experimentellen Bedingungen. Die Daten ließen die Schlussfolgerung zu, dass die Magnonen im Kondensat abstoßend zueinander interagieren und dadurch das Kondensat stabil bleibt.

Darüber hinaus beobachteten die Forscher zwei charakteristische Zeiten der Dissipation: zum einen die Energie- und zum anderen die Impulsdissipation im Kondensat. Die Zeit der Impulsdissipation – der Impuls beschreibt den mechanischen Bewegungszustand eines physikalischen Objekts – erwies sich als sehr lang. „Das kann der erste experimentelle Nachweis für eine mögliche magnetische Suprafluidität bei Raumtemperatur sein“, betont Sergej Demokritov.

Bisher wurde die Verwendung von Kondensaten aus magnetischen Teilchen vor allem durch die kurze Lebensdauer des Kondensats erschwert. „Unsere Erkenntnisse über bewegtes Kondensat und die Untersuchung des Magnon-Transports sowie die Entdeckung zweier unterschiedlicher Zeiten zeigen, dass die Lebensdauer nichts mit der Impulsdissipation des bewegten Kondensats zu tun hat“, sagt Erstautor Dr. Igor Borisenko. Die Ergebnisse könnten daher neue Perspektiven für Magnon-Anwendungen in zukünftigen Informationstechnologien eröffnen.

Beteiligte Institutionen und Förderung:

Neben den Forschern des Instituts für Angewandte Physik und des Center for Nanotechnology der WWU waren Wissenschaftler der Universität zu Köln, der Texas A&M University und der Russischen Akademie der Wissenschaften an der Studie beteiligt. Die Studie erhielt finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Forschungszentrum QM2 der Universität zu Köln.

Originalpublikation:

I. V. Borisenko et al. (2020): Direct evidence of spatial stability of Bose-Einstein condensate of magnons. Nature Communications; DOI: 10.1038/s41467-020-15468-6


Links:


Quelle: Pressemitteilung / Pressestelle der Universität Münster (upm)




Raumsonde BepiColombo fliegt auf dem Weg zum Merkur an der Erde vorbei

Schwerkraft-Bremsmanöver am 10. April 2020

Beobachtung der Mondvorderseite mit Spektrometer “MERTIS” nach 20-jähriger Vorbereitung

Am Karfreitag (10.04.2020) wird die ESA-Raumsonde „BepiColombo“ in den frühen Morgenstunden mit mehr als 30 Kilometern pro Sekunde auf die Erde zufliegen. Um 6.25 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit passiert sie, von der Tagseite kommend, über dem Südatlantik in 12.677 Kilometern Höhe den Punkt der größten Annäherung und fliegt dadurch auf der Nachtseite weiter in Richtung des inneren Sonnensystems – nun etwas langsamer als sie angekommen ist. Das sogenannte Flyby-Manöver an der Erde dient vor allem dazu, BepiColombo ohne den Einsatz von Treibstoff ein wenig abzubremsen, um die Raumsonde auf einen Kurs zur Venus zu bringen. Mit zwei Nahvorbeiflügen an der Venus ab dem 16. Oktober dieses Jahres wird BepiColombo auf einer Flugbahn sein, die zum Ziel der sechsjährigen Reise führt: einer Umlaufbahn um den innersten Planeten des Sonnensystems Merkur.

Für Planetenforscher des Instituts für Planetologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist das eine einmalige Gelegenheit zu einem besonderen Experiment am Mond: Ohne Störungen durch die Erdatmosphäre wird die von der Sonne angestrahlte Vorderseite des Mondes mit dem bildgebenden Infrarot-Spektrometer „MERTIS“ (Mercury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer) schon am 9. April erstmals in den Wellenlängen des thermalen Infrarot beobachtet und auf ihre mineralogische Zusammensetzung untersucht. Am Merkur soll MERTIS die Zusammensetzung und die Mineralogie der Oberfläche und das Planeteninnere des Merkur untersuchen.

„Der Mond und der gar nicht mal viel größere Planet Merkur haben Oberflächen, die in vielerlei Hinsicht ähnlich sind“, erklärt Prof. Harald Hiesinger von der WWU, wissenschaftlicher Leiter des MERTIS-Experiments. Er freut sich nach Jahrzehnten der Mondforschung auf die jetzt anstehenden Messungen. „Wir bekommen zum einen neue Informationen zu gesteinsbildenden Mineralen und den Temperaturen auf der Mondoberfläche und können die Ergebnisse später mit denen am Merkur vergleichen.“ Sowohl der Mond als auch der Merkur sind zwei fundamental wichtige Körper, um das gesamte Sonnensystem zu verstehen. „Von den Beobachtungen mit MERTIS erhoffe ich mir viele aufregende Ergebnisse. Nach rund 20 Jahren intensiver Vorbereitungen ist es am Donnerstag endlich soweit – wir erhalten die ersten wissenschaftlichen Daten unseres Instruments aus dem Weltraum“, betont Harald Hiesinger.

Die wissenschaftliche Auswertung der Daten erfolgt gemeinsam durch die beteiligten Institute in Münster, Berlin, Göttingen und Dortmund sowie an mehreren europäischen und amerikanischen Standorten.

„Die Beobachtung des Mondes mit unserem Spektrometer MERTIS an Bord von BepiColombo ist eine einmalige Gelegenheit“, betont Dr. Jörn Helbert vom DLR-Institut für Planetenforschung, mitverantwortlich für das dort maßgeblich entwickelte MERTIS-Instrument. Die Wissenschaftler untersuchen die der Erde zugewandte Mondvorderseite spektroskopisch erstmals in den Wellenlängen des thermalen Infrarot. Ohne die störende Erdatmosphäre ergibt die Perspektive aus dem Weltraum einen wertvollen neuen Datensatz für die Mondforschung. Außerdem können die Forscher testen, wie gut das Instrument funktioniert und Erfahrungen für den Betrieb am Merkur sammeln. Ein besonderer Praxistest ist auch die aktuelle Situation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Das Team wird aus dem Homeoffice das MERTIS-Instrument betreuen und die Daten prozessieren und auswerten. Das wurde in den vergangenen Tagen schon einige Male getestet und die „Datenauswertung am Küchentisch“ scheint gut zu funktionieren.

Die letzte Gelegenheit, „Bepi“ zu beobachten – aber nicht in Deutschland

Raumfahrt-Enthusiasten fragen sich, ob sie Gelegenheit haben, BepiColombo vor seinem Abschied auf dem Weg ins innere Sonnensystem während des Flybys ein letztes Mal am Himmel beobachten zu können: die Antwort lautet ja, allerdings nur südlich von 30 Grad Nord über dem Atlantik, in Südamerika, in Mexiko und mit Einschränkungen über Texas und Kalifornien. In Mitteleuropa bleibt der Trost, dass es in der Nacht vom 7. auf den 8. April einen außerordentlich großen Vollmond, populär gerne als Supermond“ bezeichnet, zu sehen geben wird.


Links:


Quelle: Pressemitteilung / Pressestelle der Universität Münster (upm)