Astronauten werden wieder Feldforscher

Harald Hiesinger über sein Trainingsprogramm für die Europäische Weltraumorganisation

In wenigen Jahren will die Menschheit zum Mond zurückkehren. Astronautinnen und Astronauten sollen auf Artemis-Missionen an der Planung und Durchführung von geologischen Expeditionen auf der Mondoberfläche teilnehmen. Um sie auf diese Aufgaben bestmöglich vorzubereiten, hat die Europäische Weltraumorganisation (ESA) das sogenannte PANGAEA-Programm (Planetary ANalogue Geological and Astrobiological Exercise for Astronauts) ins Leben gerufen. Seit 2016 werden Astronauten von bisher drei Raumfahrtagenturen mit grundlegenden Kenntnissen und Fähigkeiten in der Feldgeologie ausgestattet, die für die Erforschung des Mondes erforderlich sind. Kathrin Kottke sprach mit Dr. Harald Hiesinger, PANGAEA-Ausbilder und Professor für geologische Planetologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster, über das Ausbildungsprogramm und die Rolle der geologischen Feldforschung auf dem Mond.

Warum ist dieses wissenschaftliche Training wichtig?

Es gibt viele Astronauten mit einem wissenschaftlichen Hintergrund, aber nur wenige mit Erfahrung in der geologischen Feldforschung. Für künftige bemannte Missionen zum Mond und zum Mars werden wir jedoch Astronauten benötigen, die die Oberfläche in komplexen geologischen Umgebungen erforschen. PANGAEA beinhaltet eine Reihe an Kursen, die sich mit den Themen der geologischen und astrobiologischen Erkundung von Planeten befassen und das wissenschaftliche Fachwissen vermitteln.

Wer nimmt an den Kursen teil, und wie laufen sie ab?

Zu den Teilnehmern gehören ESA- und NASA-Astronauten sowie in der Vergangenheit auch Roscosmos-Kosmonauten, aber auch Missionsdesigner, Betriebspersonal und Ingenieure. Das Training basiert auf Theorie und Praxis – wobei der Unterricht im ‚Klassenzimmer‘ und im Feld eng miteinander verwoben ist. Es ist wichtig, dass das zuvor Gelernte direkt in der Praxis Anwendung findet. Die Sitzungen sind so konzipiert, dass sie die Selbstständigkeit der Auszubildenden in der Feldgeologie erhöhen. Dazu beinhalten sie geführte oder selbstständig durchgeführte geologische Begehungen und das Üben von Techniken zur Probennahme. Damit die Kursteilnehmer unterschiedliche geologische Formationen und Strukturen kennenlernen, reisen wir zu unterschiedlichen Orten.

Wohin genau?

Zu unseren Feldstandorten gehören die Perm-Trias-Sedimentabfolgen in den italienischen Dolomiten, Einschlag-Lithologien im Rieskrater in Süddeutschland, eine umfassende Reihe vulkanischer Ablagerungen auf Lanzarote und Anorthosit-Aufschlüsse auf den Lofoten in Norwegen.

Vermutlich hat jedes Gebiet seine spezifischen Besonderheiten?

Jedes dieser Gebiete dient als Grundlage für die wichtigsten Lerneinheiten: erstens Erdgeologie, Gesteinserkennung und Sedimentologie auf der Erde und dem Mars, zweitens Mondgeologie und Einschlagskrater, drittens Vulkanismus auf der Erde, dem Mond und dem Mars sowie Astrobiologie und viertens sogenanntes Intrusivgestein und die Entwicklung der lunaren Urkruste.

Sind die Astronauten danach ‚richtige‘ Wissenschaftler?

Ja! Wir bieten ein kompaktes – jedoch sehr intensives und anspruchsvolles – Programm an. Die Astronauten müssen am Ende in der Lage sein, wissenschaftliche Entscheidungen großteils selbstständig zu treffen. Im Apollo-Programm hat sich das Konzept ‚Train them, trust them and turn them loose‘ sehr bewährt. Nur so ist es möglich, die enormen Fähigkeiten der Astronauten voll auszuschöpfen, um in kurzer Zeit möglichst viel über den besuchten Körper zu lernen. In anderen Worten: Die Astronauten werden wieder als Feldforscher fungieren und die unbekannte Umgebung auf der Planetenoberfläche erkunden.

Auf was werden sie konkret vorbereitet?

Zum Beispiel müssen sie die Umgebung untersuchen, um wissenschaftlich interessante Gesteine und Formationen zu identifizieren. Dazu setzen sie tragbare Instrumente und Kamerasysteme ein, mit denen sie Informationen sammeln. Ihre Funde und Erkenntnisse teilen sie dem bodengestützten Wissenschaftsteam mit. Dann wird gemeinsam entschieden, was die nächsten Schritte sind.

Was genau ist Ihre Aufgabe in den Kursen?

Meine Aufgabe ist es, die Astronauten mit der Geologie des Mondes vertraut zu machen. Ich behandle dabei Themen wie Vulkanismus auf dem Mond, Impaktprozesse und wie Impakte – also Einschläge von Kleinkörpern wie Meteoroide, Asteroiden und Kometen – zur Altersdatierung von Oberflächen genutzt werden können. Es geht aber auch um volatile Komponenten, zum Beispiel Wasser, in den permanent im Schatten liegenden Kraterböden nahe der Pole, die für die Exploration des Mondes durch Astronauten nutzbar sind. Auch eine Übung in der geologischen Kartierung eines Gebietes auf dem Mond führe ich mit den Astronauten durch, sodass sie letztlich ein solides Wissen über den Mond und die offenen wissenschaftlichen Fragen besitzen.

Wie genau laufen denn diese Praxisübungen ab?

Gemeinsam mit Kollegen des Rieskratermuseums und des Geoparks leite ich parallel zur Theorie die Exkursionen im Rieskrater, auf denen die Astronauten unmittelbar Erfahrungen in der Impaktgeologie sammeln. Im Gelände diskutieren wir die unterschiedlichen Gesteine, Morphologien, Prozesse, offene Fragen und wie dieses Wissen auf den Mond angewendet werden kann. Dabei ist es für mich immer wieder faszinierend zu sehen, wie schnell die Astronauten Informationen nicht nur aufnehmen, sondern auch Wissenslücken erkennen und offene wissenschaftliche Fragen identifizieren. Und letztlich ist es sehr schön zu sehen, wie neugierig die Astronauten sind und wie sehr sie an der Erforschung unseres Sonnensystems interessiert sind.

Wie geht es nun weiter?

Nachdem wir unsere Erkenntnisse des Trainingsprogramms in der Fachzeitschrift ‚Acta Astronautica‘ publiziert haben, folgen nun weitere Kurse, die auf unseren Erfahrungen und den Rückmeldungen der Astronauten aufbauen. Im September geht es für mich wieder ins Nördlinger Ries, um die nächste Kohorte auszubilden.


Links:


Quelle: Pressemitteilung / Pressestelle der Universität Münster (upm)




Raumsonde BepiColombo fliegt auf dem Weg zum Merkur an der Erde vorbei

Schwerkraft-Bremsmanöver am 10. April 2020

Beobachtung der Mondvorderseite mit Spektrometer “MERTIS” nach 20-jähriger Vorbereitung

Am Karfreitag (10.04.2020) wird die ESA-Raumsonde „BepiColombo“ in den frühen Morgenstunden mit mehr als 30 Kilometern pro Sekunde auf die Erde zufliegen. Um 6.25 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit passiert sie, von der Tagseite kommend, über dem Südatlantik in 12.677 Kilometern Höhe den Punkt der größten Annäherung und fliegt dadurch auf der Nachtseite weiter in Richtung des inneren Sonnensystems – nun etwas langsamer als sie angekommen ist. Das sogenannte Flyby-Manöver an der Erde dient vor allem dazu, BepiColombo ohne den Einsatz von Treibstoff ein wenig abzubremsen, um die Raumsonde auf einen Kurs zur Venus zu bringen. Mit zwei Nahvorbeiflügen an der Venus ab dem 16. Oktober dieses Jahres wird BepiColombo auf einer Flugbahn sein, die zum Ziel der sechsjährigen Reise führt: einer Umlaufbahn um den innersten Planeten des Sonnensystems Merkur.

Für Planetenforscher des Instituts für Planetologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist das eine einmalige Gelegenheit zu einem besonderen Experiment am Mond: Ohne Störungen durch die Erdatmosphäre wird die von der Sonne angestrahlte Vorderseite des Mondes mit dem bildgebenden Infrarot-Spektrometer „MERTIS“ (Mercury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer) schon am 9. April erstmals in den Wellenlängen des thermalen Infrarot beobachtet und auf ihre mineralogische Zusammensetzung untersucht. Am Merkur soll MERTIS die Zusammensetzung und die Mineralogie der Oberfläche und das Planeteninnere des Merkur untersuchen.

„Der Mond und der gar nicht mal viel größere Planet Merkur haben Oberflächen, die in vielerlei Hinsicht ähnlich sind“, erklärt Prof. Harald Hiesinger von der WWU, wissenschaftlicher Leiter des MERTIS-Experiments. Er freut sich nach Jahrzehnten der Mondforschung auf die jetzt anstehenden Messungen. „Wir bekommen zum einen neue Informationen zu gesteinsbildenden Mineralen und den Temperaturen auf der Mondoberfläche und können die Ergebnisse später mit denen am Merkur vergleichen.“ Sowohl der Mond als auch der Merkur sind zwei fundamental wichtige Körper, um das gesamte Sonnensystem zu verstehen. „Von den Beobachtungen mit MERTIS erhoffe ich mir viele aufregende Ergebnisse. Nach rund 20 Jahren intensiver Vorbereitungen ist es am Donnerstag endlich soweit – wir erhalten die ersten wissenschaftlichen Daten unseres Instruments aus dem Weltraum“, betont Harald Hiesinger.

Die wissenschaftliche Auswertung der Daten erfolgt gemeinsam durch die beteiligten Institute in Münster, Berlin, Göttingen und Dortmund sowie an mehreren europäischen und amerikanischen Standorten.

„Die Beobachtung des Mondes mit unserem Spektrometer MERTIS an Bord von BepiColombo ist eine einmalige Gelegenheit“, betont Dr. Jörn Helbert vom DLR-Institut für Planetenforschung, mitverantwortlich für das dort maßgeblich entwickelte MERTIS-Instrument. Die Wissenschaftler untersuchen die der Erde zugewandte Mondvorderseite spektroskopisch erstmals in den Wellenlängen des thermalen Infrarot. Ohne die störende Erdatmosphäre ergibt die Perspektive aus dem Weltraum einen wertvollen neuen Datensatz für die Mondforschung. Außerdem können die Forscher testen, wie gut das Instrument funktioniert und Erfahrungen für den Betrieb am Merkur sammeln. Ein besonderer Praxistest ist auch die aktuelle Situation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Das Team wird aus dem Homeoffice das MERTIS-Instrument betreuen und die Daten prozessieren und auswerten. Das wurde in den vergangenen Tagen schon einige Male getestet und die „Datenauswertung am Küchentisch“ scheint gut zu funktionieren.

Die letzte Gelegenheit, „Bepi“ zu beobachten – aber nicht in Deutschland

Raumfahrt-Enthusiasten fragen sich, ob sie Gelegenheit haben, BepiColombo vor seinem Abschied auf dem Weg ins innere Sonnensystem während des Flybys ein letztes Mal am Himmel beobachten zu können: die Antwort lautet ja, allerdings nur südlich von 30 Grad Nord über dem Atlantik, in Südamerika, in Mexiko und mit Einschränkungen über Texas und Kalifornien. In Mitteleuropa bleibt der Trost, dass es in der Nacht vom 7. auf den 8. April einen außerordentlich großen Vollmond, populär gerne als Supermond“ bezeichnet, zu sehen geben wird.


Links:


Quelle: Pressemitteilung / Pressestelle der Universität Münster (upm)